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Theorem vom komparativen Vorteil

 
Achtung Für den Text hilfreiche Vorkenntnisse: LinkOpportunitätskosten

Das Theorem vom komparativen Vorteil, auch als Theorem von den komparativen Kosten bezeichnet, geht zurück auf David Ricardo (1772 - 1823). Es erklärt, wer sich wie spezialisiert und welche Vorteile daraus entstehen. Seine Bedeutung kann nicht überschätzt werden. Es erklärt, warum Portugal Wein exportiert und England Wein importiert. Es erklärt, warum Sie ihre Heizung nicht selbst reparieren, sondern einen Handwerker kommen lassen. Es erklärt, nicht allein, aber es trägt wesentlich dazu bei, warum Menschen heiraten, Frauen oft Teilzeitarbeit nachgehen und Männer selten und wenig im Haushalt helfen, aber die Autos waschen und den Rasen mähen. Und vieles, vieles mehr.

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Für die Erklärung des Lehrsatzes ziehen wir das Originalbeispiel von Ricardo heran: England importiert Wein aus Portugal und bezahlt die Lieferung mit Tuch. England hätte die importierte Weinmenge mit der Arbeitskraft von 120 Arbeitern über ein Jahr auch selbst produzieren können. Um die exportiere Menge Tuch zu erzeugen, waren jedoch nur 100 Arbeiter ein Jahr beschäftigt. England konnte so durch den Handel 20 Mannjahre Arbeit sparen.

In Portugal stellt sich die Situation ähnlich dar. Zur Erzeugung des Weins, der nach England verschifft wurde, waren 80 Mannjahre Arbeit erforderlich. Absolut betrachtet hat Portugal bei der Herstellung von Wein gegenüber England einen Vorteil. Das hätte man sicher auch erwartet.

Hätten sich die Portugiesen entschlossen, das importierte Tuch selbst zu produzieren, so wären dafür 90 Mannjahre Arbeit erforderlich gewesen. Auch in der Tuchproduktion ist Portugal gegenüber England also absolut im Vorteil, denn die Engländer benötigten dafür ja 100 Mannjahre.

Für viele ist es nun zunächst verblüffend, dass auch Portugal vom Handel profitiert - obwohl es England in beiden Produktionen "technologisch" überlegen ist. Aber es ist leicht einzusehen: Für Portugal lohnt sich der Handel, Wein herzustellen, und mit dem Wein das Tuch zu bezahlen. Die Eigenproduktion von Tuch hätte nämlich 90 Mannjahre gebunden, während der Import der gleichen Menge nur 80 Mannjahre kostet, wenn man das Tuch mit Wein bezahlt.

Die Teilnahme am Handel lohnt sich auch für den, der alles besser kann. "Der Starke ist am mächtigsten allein", gilt hier also nicht. Umgekehrt ist es korrekt: Auch der Starke gewinnt, wenn er mit dem Schwachen kooperiert.
Vorkenntnisse erforderlichUm der Sache weiter auf den Grund zu gehen, verwenden wir im Folgenden den Link Opportunitätskostenbegriff.

Tatsächlich hat auch England einen Produktivitätsvorteil. Man erkennt ihn allerdings erst auf den zweiten Blick: In England kann Tuch relativ günstiger hergestellt werden als in Portugal. England hat bei der Tuchproduktion zwar einen absoluten Nachteil, aber einen (vergleichbaren oder relativen oder wie man in der Regel formuliert) komparativen Vorteil - daher der Name des Theorems.

Wir können es auch knapper formulieren: England hat geringere Opportunitätskosten für Tuch als Portugal.

Um die Kosten berechnen zu können, normieren wir die bisher gehandelten Mengen von Tuch und Wein jeweils auf 100 Einheiten. Zunächst werfen wir einen Blick auf England. Für 100 Einheiten Tuch wurden 100 Arbeitskräfte (pro Jahr) benötigt. Eine Arbeitskraft produziert also eine Einheit Tuch. Für 100 Einheiten Wein wären 120 Arbeitskräfte notwendig gewesen. Eine Arbeitskraft produziert also 0,833 Einheiten Wein pro Jahr. Wenn England sich selbst mit Wein und Tuch versorgt, steckt in einer Einheit Tuch genau soviel (Arbeits)Wert wie in 0,833 Einheiten Wein. Anders formuliert: Wenn England eine Einheit Wein mehr produzieren möchte, dann kostet das 1,2 (= Kehrwert von 0,833) Einheiten Tuch.

Was kostet eine Einheit Wein in Portugal, wenn Portugal autark ist (Autarkie: Das Land versorgt sich selbst. Es wird kein Handel betrieben.)? Für 100 Einheiten Tuch müssten die Portugiesen 90 Arbeitskräfte beschäftigen. Um eine Einheit Tuch herzustellen, wären also 0,9 Arbeitskräfte erforderlich. Um eine Einheit Wein herzustellen, sind 0,8 Arbeitskräfte erforderlich. Bei Vollbeschäftigung müsste Portugal also 0,8 Arbeitskräfte aus der Tuchproduktion abziehen, wollte es eine Einheit Wein mehr herstellen. Dadurch würde die Tuchproduktion um 0,89 (= 0,8 / 0,9) Einheiten sinken. In Portugal kostet eine zusätzliche Einheit Wein daher den Verzicht auf 0,89 Einheiten Tuch.

Der in Tuchmenge ausgedrückte Weinpreis ist in Portugal mit 0,89 also deutlich geringer als in England, wo er 1,2 Einheiten beträgt. England hat höhere Opportunitätskosten für Wein.

Mit den Opportunitätskosten für Tuch verhält es sich genau umgekehrt. In Portugal kostet das Tuch bei Autarkie 1,125 Einheiten Wein, in England aber nur 0,83 Einheiten. Für Portugal ist es daher günstiger, Tuch in England zu kaufen als es selbst herzustellen - obwohl man es absolut besser könnte als England. Aber eben nicht relativ.

Kommen wir auf den eingangs erwähnten Monteur zurück, der die Heizung wartet. Vielleicht hat er morgen einen Auftrag bei einem Kunden zu erledigen, der als Masseur arbeitet. Dann wirkt dasselbe Prinzip, das den Handel für Portugal und England vorteilhaft macht. Beide spezialisieren sich auf die Tätigkeit, bei der sie einen komparativen Vorteil haben. Um die Spezialisierungsvorteile zu realisieren, müssen sie nicht direkt miteinander tauschen. Entscheidend ist, dass der Masseur die Leistung des Monteurs zu geringeren Kosten kaufen, als sie selbst erstellen kann. Die Tauschmittel- und die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes vereinfachen die Realisierung der Spezialisierungsvorteile ungemein. Die Tauschmittelfunktion ermöglicht es Ihnen und mir, die Leistungen des Monteurs in Anspruch zu nehmen, ohne dass der Monteur jemals direkt von uns irgendeine Gegenleistung eintauschen müsste, bei der wir einen komparativen Vorteil besitzen. Und die Wertaufbewahrungsfunktion sorgt dafür, dass die Tauschprozesse darüber hinaus zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden können.

Der komparative Vorteil ist allgegenwärtig - nicht nur im Wirtschaftsgeschehen. Er erklärt zum Beispiel auch, warum meist Männer die Autos und Frauen die Wäsche waschen. Er erklärt allerdings nicht, wie die jeweiligen komparativen Vorteile zustande kommen. Selbstverständlich könnte es auch umgekehrt sein. Männer waschen die Wäsche und Frauen die Autos. Wenn eine Spezialisierung aber einmal vorhanden ist, dann verstärkt sie sich durch "Learning by Doing" von selbst - etwas geschraubt ließe sich auch sagen: "durch Investitionen in spezifisches Humankapital". Je ausgeprägter die komparativen Vorteile sind, desto verschwenderischer wäre es, sie nicht zu nutzen.

Das Theorem vom komparativen Vorteil erklärt Tauschgewinne durch Spezialisierung. Die Tauschpartner spezialisieren sich jeweils (ganz oder teilweise) auf die Aktivität, bei der sie relativ produktiver sind.